REVIEWS CROSSOVER 02/03-2017

• 1. Mike Oldfield - Return to Ommadawn
• 2. Max Richter - Three Worlds - Music from Woolf Works
• 3. Terry Bozio - Composer Series
• 4. The Best of Philip Glass / Vikingur Olafsson - Piano Works
• 5. Ludovico Einaudi - Elements
• 6. Nigel Kennedy - My World
• 7. Olafur Arnalds - Island Songs
• 8. Das Kapital - Eisler Explosion
• 9. John Adams - Scheherazade.2
• 10. Kronos Quartet * Aleksandra Vrebalov - Sea Ranch Songs
• 11. Peter Krauss und Mark Bird - Satie for two Guitars
• 12. Feidman plays Beatles!

"Ich hatte mich verrannt." Welchen Teil seiner langen Karriere Mike Oldfield da genau meinte, lässt er im Interview offen. Am höchsten im Kurs bei Oldfields Fans stehen jedenfalls immer noch seine ersten drei Alben: neben Tubular Bells & Hergest Ridge eben jenes Ommadawn von 1975, sein drittes Werk, zu dem Oldfield nun zurückkehren wollte. Das neue Studioalbum beinhaltet nun zwei gut 20-minütige Instrumental-Tracks - entsprechend jeweils einer Plattenseite im wieder so populären Vinylformat - vom Multiinstrumentalisten natürlich komplett eigenhändig eingespielt im eigenen Studio auf den Bahamas. Das hört sich sehr lebendig an, die erklingende Armada an Saiteninstrumenten ist allein schon bemerkenswert. Oldfield, der schwere private Verluste verarbeiten musste, fällt gleich mit mehreren einprägsamen Themen ins Haus und lässt seine Trademark-Gibson in bekannter Manier über die verschachtelten Tonspuren jagen. Am Fantasy-Cover eines gewissen Rupert Lloyd, vom Meister selbst nach Konsum einiger Game of Thrones-Folgen in Auftrag gegeben, werden sich wohl eher die Geister scheiden.

http://mikeoldfieldofficial.com

Seit seinem Erfolg mit dem Score zum israelischen Animationsfilm Waltz With Bashir wird der britische Komponist Max Richter öffentlich auf Händen getragen. Richter selbst versucht einfach weiter seinen Job zu machen und stellt seine Vielseitigkeit unter Beweis. So auch auf dem neuen Album mit von Schriftstellerin Virginia Woolf inspirierter Musik. Richter stieß im Vorfeld auf die einzige erhaltene Aufnahme Woolfs, einen BBC Rundfunkvortrag von 1937, der dem Album als Words vorangestellt ist. Aus ihren Essays, Briefen & Tagebüchern lesen später noch Sarah Sutcliffe und Gilian Anderson (X-Files), deren Stimme im letzten, längsten Stück des Albums erklingt, dem auf Woolfs Abschiedsbrief an ihren Ehemann zurückgehenden Tuesday. Ein bewegender Abschluß für Richters Komposition zur ersten abendfüllenden Produktion von Choreograf Wayne McGregor für das Londoner Royal Ballet mit Themen aus drei Romanen: Mrs. Dalloway, Orlando und Die Wellen. Im Mai und Juni ist Max Richter live in Deutschland zu sehen. www.maxrichtermusic.com

LIVE

Ein dickes Paket: 4CDs & eine Bluray (mit einem 35minütigem Schlagzeug-Solo sowie Auf- und Abbau des Drum-Sets im Zeitraffer) legt Zappa-Schlagzeuger Terry Bozzio mit Composer Series vor - sein Lebenswerk, was Bozio als Komponisten angeht. Neben Zappa, den er auf 26 Alben als Drummer begleitete. spielte Bozio mit Quincy Jones, Jeff Beck oder Mick Jagger. Für den Rolling Stone gehört der Grammy-Preisträger zu den Top 5 Schlagzeugern aller Zeiten. 59 Kompositionen, alle mit einer eigenen Zeichnung und erläuternden Liner Notes zur Einordnung der Stücke verbunden - ein Musik-/Kunst-Hybrid, in großer Bandbreite präsentiert, dabei nicht durchgängig über das Instrumental-Skizzen-Stadium hinausreichend. Der struppige Meisterschlagzeuger wird wohl eher als Virtuose an Sticks & Fellen in Erinnerung bleiben. https://terrybozzio.com

1 Der Meister selbst ließ zum Jubiläum verlauten, jede Anerkennung wäre künstlerisch eher ein Desaster und Unabhängigkeit wichtiger als Erfolg. Koketterie? Die New Yorker Carnegie Hall ehrte Philip Glass zu dessen 80. Geburtstag immerhin mit der Weltpremiere seiner elften Symphonie und einer einjährigen Residency (unter Glass´ Mitwirkung). Sony Classical lässt auf zwei Cds einfach Höhepunkte aus dem Schaffen eines wichtigen Komponisten des 20. Jahrhunderts Revue passieren. Seiner repetitiven, oft erhabenen Musik wird weiter unter Verwendung des Genrebehelfs Minimal Music nahezukommen versucht werden, auch wenn sich Glass selbst öfter von diesem Label distanziert hat. Hier sind insgesamt 25 Stücke versammelt: aus seinen Opern Einstein on the Beach, Satyagraha, Akhnaten oder The Photographer sowie Titel aus Dance Pieces, Solo Piano, dem Concerto für Geige und Orchester und Soundtrack- Melodien wie The Truman Show, Naqoyaqatsi und The Hours. Die Disney-Oper The Perfect American fehlt, überraschenderweise auch der Score zu Koyaanisqatsi, dafür erklingt die Fantastic Four Prelude... Profane rechtliche Gründe wohl oder aber: ganz ausrechenbar wollte man vielleicht doch nicht sein. 

2 Der 32-jährige isländische Pianist Vikingur Olafsson, der für seine aktuelle Homage an Glass in direktem Kontakt mit dem Komponisten stand, meint zum repetitiven Charakter von dessen Etüden: "Oberflächlich betrachtet scheinen sie voller Wiederholungen zu sein. Aber je mehr man sie spielt und über sie nachdenkt, desto mehr scheinen sich ihre Narrative gleich einer Spirale vorwärts zu drehen. Solange sich die Zeit weiter vorwärts bewegt, hören wir nie zweimal die gleiche Musik". Neben den Klavier-Etüden hat der junge Nordmann, seit kurzem Deutsche Grammophon-Exklusivkünstler, auch Reworks von Werken Glass‘ durch Christian Badzura im Repertoire. Olafsson ist künstlerischer Leiter des von ihm gegründeten Kammermusik-Festivals Reykjavik, Midsummer Music. In dessen Spielstätte, im Harpa Konzerthaus der isländischen Hauptstadt wurden die vorliegenden Piano Works im Oktober 2016 auch aufgenommen. https://vikingurolafsson.com

Nach dem Welterfolg von Ludovico Einaudis auch an dieser Stelle vorgestellten jüngsten Album Elements vor zwei Jahren wurde pünktlich zum Start seiner Deutschlandkonzerte im November 2016 eine hochformatige Special Tour Edition herausgegeben: besteht aus einer CD, DVD und einem Set von Elbenbeinkarton-Postkarten mit Foto-Motiven von der Live-Tour. Das weiße CD-Album enthält neben dem kompletten Elements weitere vier Bonustracks, u.a. als letzten Track die extra für die Greenpeace- Kampagne 2016 komponierte Single Elegy for the Arctic. Auf der als schwarzes Pendant beigelegten DVD findet sich ein Konzertmitschnitt aus der Londoner Royal Festival Hall im Juli 2016. Neben Francesco Arcuri, Marco Decimo, Mauro Durante, Alberto Fabris, Federico Mecozzi und Redi Hasa, Einaudis "Hausband“, sind das niederländische Streichquartett Amsterdam Sinfonietta, als ebenfalls langjähriger Kollaborateur der Berliner Elektroniker Robert Lippok, die Perkussionisten aus dem Auditorium Parco della Musica in Rom sowie deren brasilianischer Kollege Mauro Refosco im Einsatz. Zudem ist DG-Starviolinist Daniel Hope auf dem Eröffnungs-Track Petricor zu hören ein bisher wenig gehörter Kontrast zu Einaudis Trademark Sound. Am 4. Juni 2017 wird Einaudi in der Berliner Waldbühne auftreten. 

LIVE

Für das erste Album, auf dem das Phänomen Nigel Kennedy ausschließlich eigene Kompositionen präsentiert, erhöhte der Ausnahmegeiger die Spannung noch, indem er angab, erst jetzt wirklich Musik aus seiner eigenen Welt zu spielen. Kennedy widmet in der ersten Hälfte von My World seine Stücke jeweils einem für ihn persönlich inspirierenden Musiker (von denen nur Bluegrass-Fiddler & Komponist Mark O´Connor noch lebt - und bisher nicht einmal mit Kennedy "musizierte".) Bei den zugänglichen Dedications für seine Mentoren Jarek Mietana, Yehudi Menuhin, Isaac Stern oder Stéphane Grappelli meint man gelegentlich, Passagen melodisch schon zu kennen, wie bei den Themen für Mietana oder Stern, die an Filmmusik von North oder Rózsa erinnern. Doch auch diese Ausnahme-Komponisten standen ja bereits auf den Schultern von Riesen. Den zweiten Teil des Albums nimmt eine neue Suite zu Anton Tschechows Theaterstück Die Drei Schwestern ein, in der Kennedy weiter versucht, Streichorchester, Rockband und Klavier abseits von Genreklischees zusammenzubringen, nämlich das Oxford Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Yuri Zhislin sowie die Bandsolisten Orphy Robinson (Vibraphon bei Don Cherry & Wynton Marsalis), Schlagzeuger Adam Czerwinski, Tomasz Kupiec am Bass und gleich drei Gitarristen: Rolf Bussalb, Julian Buschberger & Doug Boyle. Puristen werden Kennedy wohl einmal mehr hassen, seine Fans ihm weiter folgen.

A Living Musical Film Project. Der 26-jährige isländische Crossover-Künstler Ólafur Arnalds (u.a. The Chopin Project mit Pianistin Alice Sara Ott) hat sich mit seiner eigenen repetitiven, zerbrechlich-melancholischen Musik weltweit eine wachsende Fangemeinde erarbeitet. Bisher meist kammermusikalisch besetzt (Klavier, sanfte Streicher, sparsame Elektronikeffekte) gleich zum Einstieg in das neue Album Island Songs jedoch mit feinem Chorarrangement und mehreren Gast-Vokalisten (etwa Dagný Arnalds bei 1995) begibt sich der Multiinstrumentalist & Komponist nun auf eine musikalisch-meditative Reise durch seine Inselheimat. In sieben Wochen wurde an sieben verschiedenen Orten mit verschiedenen lokalen Musikern & Künstlern jeweils ein Titel aufgenommen. Mit von der Partie auch Video-Regisseur Baldvin Z, dessen sparsam choreografierte sieben Clips lose verbunden auf der beigelegten DVD laufen. Auf CD zusätzlich noch der neue Bonus-Track Study for Player Piano. www.islandsongs.is

TIPP

Die Internationale fehlt hier. Die beschloß 2013 einen denkwürdigen Konzertabend der Jazzcombo Das Kapital mit dem Royal Symphony Orchestra Vooruit ("Vorwärts") im belgischen Gent. Als zum 100-jährigen Jubiläum des sozialistischen Kulturzentrums Re-Kompositionsaufträge für Stücke von Hanns Eisler vergeben wurden, war das marxistisch angehauchte europäische Jazztrio des deutschen Saxophonisten Daniel Erdmann, des dänischen Gitarristen Hasse Poulsen und des französischen Drummers Edward Perraud erste Wahl. Die drei mussten sich für die Zusammenarbeit mit dem nach bereits zwei Alben mit Eisler-Songs einfach nur weiter ihrem Lieblingskomponisten widmen, der als Schönberg-Schüler nicht nur die DDR-Hymne Auferstanden aus Ruinen schrieb, sodern auch Opern und Orchesterwerke, Kantaten, Hollywood-Soundtracks und kommunistische Kampflieder. Eisler Explosion bietet: nein, nicht die (vor Eisler entstandene) Internationale (s.o.), aber neun auf Eisler-Material basierende neue Stücke, die vom Euro-Trio und dem belgischen Blasorchester engagiert dargebracht werden. Das Herz schlägt eben links. http://das-kapital.com

 TIPP

Keineswegs bierernst: Das Kapital, seine Eisler-Explosion und das Hammer-Cover.

"People and nature intertwined in a healthy union." Zum 50. Geburtstag der nordkalifornischen Küstengemeinde The Sea Ranch wurde bei der serbischen Komponistin Aleksandra Vrebalov der Zyklus The Sea Ranch Songs in Auftrag gegeben - mit dem Kronos Quartet als Wunschbesetzung - um Geist, Natur & Architektur dieses magischen Ortes ein musikalisches Denkmal zu setzen. Im Ergebnis eine schnell Interesse weckende multimediale Arbeit, mit immer wieder zwischen den Musikparts eingestreuten Interview-Passagen, anderweitigen Stimmsamples und Geräuschen aus der landschaftlich wildromantischen Umgebung. Auf der beiligenden Bonus-DVD treten die Filmbilder des Videografen Andrew Lyndon mit den vom Kronos Vierer virtuos gespielten Sea Ranch Songs in Wechselwirkung. www.aleksandravrebalov.com
www.kronosquartet.org

Auf der vorliegenden él-(Wieder)-Veröffentlichung Satie For Two Guitars widmen sich die beiden Klassik-Gitarristen Peter Kraus und Mark Bird dem Lebenswerk von Erik Satie, der mit seinen eigenwilligen Kompositionen im frühen 20. Jahrhundert die Neue Musik maßgeblich beeinflusste, es aber zu Lebzeiten selten leicht hatte. Zu den Albumhighlights zählen Stücke wie Trois Nouvelles Pièces Froids, Manière De Commencement oder Prélude Du Rideau Rouge, aber natürlich werden auch die Gymnopédies & Gnossienes gegeben, teils als Solo-Einspielung von Krauss, teils im Duo mit seinem L.A.-Kollegen Mark Bird. Dann gibt es unvermittelt Interpretenwechsel, das Album wird durch Bonustracks zur Compilation: mit dem von den Pianisten Gaby & Robert Casadesus interpretierten, von Satie einem Kritiker ironisch entgegengeschleuderten Trois Morceaux en forme de poire oder Parade mit dem Orchester der Oper Monte Carlo. Ganz zuletzt gibt es Satie auch noch einmal in vertrauter Form. Francis Poulenc spielt solo am Piano die Gnossienne No.3.

Klezmer meets Liverpool - es lag in der Luft. "Ich habe immer mal ein Stückchen von Ihnen gespielt, nur bis jetzt halt nie systematisch" meint Klarinetten-Ikone Giora Feidman zu seinem aktuellen Projekt mit Beatles-Repertoire von Yesterday über The Fool on the Hill bis Let It Be - interessanterweise nur Lennon-McCartney-Material (bis auf 3 Fremdtitel aus der Frühphase). Feidman musiziert einmal mehr mit dem Rastrelli Cello Quartett. Von deren Mikhail Degtjareff stammt auch die das Album beschließende Homage to the Beatles, Kira Kraftzoff war als Co-Arrangeur im Einsatz, der etwa Eleanor Rigby einen weicheren Streichersatz verordnete. Feidman tourt seit Januar bereits mit seinen Rastrellis im Rücken mit einem 90-minütigen Fab Four-Programm durch die Republik: Livetermine: giorafeidman-online.com

 LIVE 

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