REVIEWS CROSSOVER 01/02-2019

 

 


 

crossover 02 19 craig armstrong

Max Richter - The Blue Notebooks

Deutsche Grammophon / Universal

crossover 07 18 max Richter Blue Notebooks do cd

The Blue Notebooks wurde als eine Meditation über Gewalt und deren Folgen konzipiert, "inspiriert durch den - heraufziehenden - Irakkrieg und meine eigenen Erfahrungen" wie der deutsche, in London lebende Komponist selbst im Booklet erläutert. Doch ohne martialische Klänge oder brachiale Soundexperimente - umgesetzt mit leisen, eindringlichen Tönen. Kammermusikalisch, am Piano, per sachte eingearbeiteter Elektronik. Und mit field work angereichert - eine Schreibmaschine klappert, Krähen krächzen. Und auf fünf der Stücke liest keine Geringere als die britische Schauspielerin Tilda Swinton, u.a. aus Kafkas Blue Octavo Notebooks, auf die der Album-Titel Bezug nimmt. "Our world spins into something quite threatening, increasingly based on loud and vicious rhetoric." Heute mindestens so aktuell wie 2003. Richters melodischer "quiet protest" rund um das an Barbers epochales Adagio for Strings erinnernde Centerpiece "On the Nature of Daylight" - im Ergebnis laut Eno-Biograf Davis Sheppard "an album of pure, meditative loveliness". www.maxrichtermusic.com *

TIPP
 

crossover 07 18 max Richter Blue Notebooks

Im Vorjahr präsentierte die Deutsche Grammophon eine auf zwei Cds erweiterte Neuausgabe von Max Richters The Blue Notebooks - zum 15. Jahrestag des Meisterwerks. Von Richter 2003, lange vor seinem Durchbruch als Filmkomponist (mit Waltz with Bashir, 2008) aufgenommen, wurde das Album zum Maßstäbe setzenden Crossover-Klassiker. Wehmütige Streicher, Orgelpassagen, repetitive Pianomelodien - Richter verknüpfte klassische & elektronische Elemente, zugänglich für Publikum außerhalb der streng puristischen Neue Musik-Kreise. Das auf der zweiten DC versammelte Bonus-Material enthält drei neue, unveröffentlichte Stücke, zwei Remixe und das auf On the Nature... basierende This Bitter Earth feat. Dinah Washington. Im Buchdeckel der hochformatigen Deluxe-Fassung verborgen: ein blaues Notizbuch, stabiler als Kafkas Blue Octavos. www.deutschegrammophon.com

Craig Armstrong - Sun On You

Decca / Universal

crossover 02 19 craig armstrong

"Am Ende des Albums lehnt man sich entspannt zurück und denkt: Alles ist gut". Auf diesen Nenner bringt es der Waschzettel, doch von unbedarfterer Entspannungsmusik unterscheiden Sun On You Armstrongs melodische Finesse und die exzellente Aufnahmetechnik der Londoner Air Studios. Play Tracks 2,3, 11-13. Album-Trailer * http://craigarmstrong.com

TIPP
 

Um den gefragten schottischen Filmmusik-Komponisten & Arrangeur Craig Armstrong, der insbesondere mit seinen Scores zu den Baz Luhrman-Filmen Romeo + Juliet (1996) & Moulin Rouge (2001) reüssierte, war es nach Snowden & Bridget Jones´ Baby (beide 2016) ungewohnt ruhig geworden. Nun ist klar: der Mann hat sich Zeit für ein von den Bildern der großen Leinwand abgekoppeltes Instrumental-Album genommen, geschrieben für Piano & Streicher. Das an der Londoner Royal Academy of Music klassisch ausgebildete ehemalige Hipsway-Mitglied greift für Sun On You, sein erstes von mehreren geplanten Solo-Alben für Decca, höchstselbst in die Tasten, sparsam begleitet vom Scottish Ensemble, einem runden Dutzend Musiker*innen an Violine, Viola, Cello & Kontrabaß. Das klingt eher minimalistisch als ausladend und findet zuweilen, etwa in Soft Patterns, zu einer an Ryuichi Sakamoto erinnernden Tonsprache. Armstrong selbst spricht von `musikalischen Haikus´. 

Masayoshi Fujita - Book of Life

Erased Tapes / Indigo

crossover 07 18 masaFujita

Digipak Cover-Foto: Karl Blossfeldt, Design: Bernd Kuchenbeiser. 

http://masayoshifujita.com
* Play all tracks.

TIPP
 

Und Haiku-artige Gedichte stellt auch der in Berlin ansässige japanische Komponist & Solist Masayoshi Fujita den Instrumentals seines neuen Albums an die Seite. Nachzulesen im Booklet zu Book of Life,  dem abschließenden Teil von Fujitas Solo-Vibraphon-Trilogie. Der Musiker will dem relativ jungen, wie Fujita selbst vom Ensemble-Background in den Solo-Fokus gerückten Instrument neue, überraschende Klänge entlocken. Dafür kratzt der ausgebildete Schlagzeuger schon mal auf den Metallplatten herum, spielt auf ihnen mit einem Cello-Bogen und präpariert die Schlegel mit Küchenfolie oder Perlen, ohne dabei in schräge Experimente abzudriften. Erstmals interagiert das Vibraphon hier aber auch mit Streichern, Blechbläsern oder sogar einem Chor (aus Nils Frahm-Mitstreitern wie Peter Broderick, Hatis Noit oder David Allred). Für Liebhaber des Instruments ein Muss. 

rick wakeman - Piano odyssey

Sony Classical

Rick Wakeman, Glitzercape-behängtes Prog-Rock-Enfant Terrible, Immer-mal-wieder Yes-Keyboarder und Rock and Roll Hall of Fame-Laureat, debütiert auf Sony Classical. Mit seiner Piano Odyssey verpasst der 2019 sein 50-jähriges Musik-Branchen-Jubiläum (seit seinem Beitrag zu Bowies Space Oddity gerechnet) begehende Mellotron-Innovator Evergreens wie Bohemian Rhapsody (mit Queen´s Brain May als Gast), Strawberry Fields Forever (Beatles) oder Simon & Garfunkels The Boxer das Tasten-Treatment, die fast in Clayderman-Manier perlenden Piano-Läufe gern noch zusätzlich mit den Orion Strings und raunendem English Chamber Choir getoppt. Aber auch Klassisches gibt er hier zum Besten: Franz Liszts Liebestraum und einen Largos-Mashup von Georg Friedrich Händel- und Antonin Dvořák-Stücken. Damit nicht genug, nach zweimal Yes-Repertoire navigiert Wakeman seine Mannschaft am Old Granary Steinway D-Flügel weiter bis zu den für den Animals Asia-Patron emotionalsten Kompositionen - zwei den verblichenen Kragenbären Rocky & Cyril Wolverine gewidmeten Werken: "The day we lost Cyril, I placed his photo on the music stand of my Blüthner (Flügel) and with a single light gently illuminating both his face and the tears on mine, I wrote this piece for him." No kidding - Wakemans Bear Necessities.

Wow

crossover 02 19 wakeman

http://www.rwcc.com - Wakeman´s Place - incl. der Kolumne `Ramblings of Grumpy Old Rick´.

 

 karl marx´s 200th !

Various Artists - Karlrecords / Galileo Music Communication

2018 wurde in Teilen der Öffentlichkeit der 200. Geburtstag des einflußreichen Philosophen & Ökonomen Karl Marx begangen, dessen Analysen aus Zeiten der industriellen Revolution teils weiter Gültigkeit haben - auch wenn im Wettstreit der Systeme der Sozialismus früher als sein Opponent gescheitert ist. Den obsiegenden Kapitalismus einzunorden haben die mehr oder minder demokratisch legitimierten Regierungen weltweit versäumt. Verbleibende Proletarier wenden sich eher rechten Demagogen zu, während Kleinbürger und Kreative zum neuen Prekariat gehören. Aus letzterer Gruppe rekrutieren sich auch die an der vorliegenden Benefiz-Compilation beteiligten 28 Künstler, die ihrem Unmut über die aktuelle Weltlage mit bisher unveröffentlichten Stücken zum Thema Luft machen, u.a. Schneider TM, Kammerfllimmer Kollektief, Caspar Brötzmann, Kreidlers Andreas Reihse, Guido Möbius oder Natalie Beridze. Meist in instrumentaler Manier, mit Collagen, Elektronik, Experimentellem - Ambient, Drone oder Noise. Seltener mit spoken word-Anteilen oder Gesang (wie beim willkommenen Kanon Making this now von Narrow Bridges) - insgesamt doch eher sperrig, wie zwei im Archiv verstaubende Karl Marx-Regalmeter. Erklärtermaßen eine Benefiz-Kompilation, doch: cui bono? Im schwarzen Digipak-Booklet (leider wenig lesefreundlich aufbereitete) Essays und Reflektionen u.a. zu "Sonic Marxism" von Nina Power (The Guardian, Wire), der feministischen Philosophin Ewa Majewska oder dem Berliner Künstler ME Raabenstein. www.karlrecords.net 

 
 

crossover 07 18 Marx 200

https://marx200.org * https://karlrecords.bandcamp.com/album/karl-marxs-200th 

Play Tracks I,11. - II,4,5,10.

kennedy meets gershwin

Warner Classics / Warner

Wieder einmal heißt es: `Vorhang auf´ für das Phänomen Kennedy. Wenn sich der notorisch zwischen E- & U-Musik umhertollende Menuhin-Schüler der sicheren Repertoire-Bank namens Gershwin widmet, noch dazu auf einem kompletten Album, dann klingelt die Klassik-Kasse - derzeit wieder mal bei Warner. Da kann die grottige Cover-Montage mit gelbem Automobil und Empire State Building noch so klischeehaft daherkommen, den "personal trip into the magical world of Gershwin" hat der eigenwillige, die Liner Notes hier höchstselbst bestreitende Virtuose musiklaisch offenbar ernst genommen. Natürlich polarisiert auch Kennedy meets Gershwin - wie sollte es anders sein, denn Sir Nigel "ergänzt" die überlieferten Noten des (als Live-Projekt seit jeher Arrangement-Änderungen unterworfenen) Americana-Kulturerbes mit einer Fülle an eigenen improvisatorischen Ideen. Zudem beschränkt er sich nicht etwa auf das angestammte Solo-Instrument und lässt sich dabei von einer Band erwartbar eingefleischter Jazzer um Gitarrist Howard Alden (wie auch dem Orchestra of Life-Streichertrio) begleiten. Nein, Viola, Klavier und Cembalo wollen ebenfalls von Kennedys magischen Fingern zum Klingen gebracht werden. Ob der Hörer dann eher das "Original" bevorzugt oder Kennedys `Gershwin Adventure´ mitsamt der hier gegebenen Rhapsody in Claret & Blue oder der noch freieren Fantasy on They Can´t Take That Away From Me, ist wohl schlicht Geschmackssache. 

crossover 07 18 KennedyGershwin

https://de-de.facebook.com/pg/nigelkennedyofficial

 

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