REVIEWS FILM 09-2016
vinyl - staffel 1
Warner
Das - wie die Akteure aus der Plattenbranche - recht lädierte New York der 1970er-Jahre bildet den Rahmen für eine von Martin Scorceses furioser (30 Millionen Dollar-teurer) Pilotfolge eingeleitete Musikbranchen-Achterbahnfahrt. Vor den zunehmend koks-geäderten Augen von `American Century´-Plattenboss Richie Finestra beginnen sich mit der Ankunft erster Vorboten von Punk, Hip Hop & Disco sicher geglaubte Rock-A&R-Mechanismen aufzulösen. Die Verkäufe schwächeln, Konkurrenten machen Richie die besten Pferde im Stall abspenstig. Nach einem persönlichen Erweckungserlebnis, bei dem das marode Venue über einem New York Dolls-Konzert und ihm als zufälligen Zuschauer kollabiert, stoppt Finestra den Verkauf seines Labels an deutsche Technokraten (Bertelsmann, ick hör Dir trapsen) und will es nochmal wissen. Die Konflikte mit seinem Labelteam - und Ehefrau Devon (Olivia Wilde) aus dem Warhol-Dunstkreis - sind durchwoben von einer Mischung originaler Source-Tracks (im Off) und im Bild neu inszenierter Stücke historischer Szene-Größen wie Bo Diddley & David Bowie oder fiktiven Drehbuch-Charakteren wie Funkster `Hannibal´ (Daniel J. Watts als Kreuzung aus Sly Stone & Bootsy Collins) oder den New York Punkern `Nasty Bits´ (als deren Leadsänger Jagger-Filius James). Jede Folge quillt über vor Details aus der Musikhistorie, folgerichtig fanden mit der Gnade der rechtzeitigen Geburt gesegnete Kritiker (gerade aus dem Big Apple) ebensoviel Lobens- wie Verdammenswertes bei diesem labour of love & money. Legt man aber keine puristischen Maßstäbe an, weiß die Serie Musikfans durchaus zu unterhalten, auch wenn die wechselnden Regisseure Emmy-Preisträger Bobby Cannavale als Richie Finestra ein paar Manierismen zu viel gestatten. Kommerziell hat es für VINYL nicht gereicht - eine schon angekündigte zweite Staffel wurde im Sommer doch noch abgesagt. |
TIPP |
Sex & Drugs & Rock´n Roll. Mit Oscar-Preisträger Martin Scorsese, Rolling Stone Mick Jagger sowie Sopranos- & Boardwalk Empire-Autor Terence Winter hat sich ein wahrhaft illustres Triumvirat ausführender Produzenten für die aktuelle HBO-Serie VINYL zusammengefunden. |
made in france
Universum
Extremismus hausgemacht. So könnte es laufen - oder auch nicht. Autor & Regisseur Nicolas Boukhriefs Film schildert das Innenleben einer französisch-islamistischen Terrorzelle. Der investigative Journalist Sam (Malik Zidi) hat sichin eine Gruppe von vier unterschiedlich fanatischen jungen Männern eingeschleust, die planen, für den Dschihad Frankreich zu verlassen. Als mit Hassan (Dimitri Storoge) der Anführer aus dem Einsatz für den IS zurückkehrt wird die Lage für Sam zunehmend gefährlicher, zumal auch die französische Polizei ihn unter Druck setzt, weiter im Umfeld zu bleiben. Die naive Dschihad-Begeisterung, die teils propagandistisch befeuerte Abscheu gegen den korrumpierten, dekadenten Westen innerhalb der Gruppe werden ebenso gezeigt wie die profanen Probleme mit der Bart-Rasur, Alkohol, Nachtclub-Balzverhalten und ideologischem coming out gegenüber der Familie. Die Terroristen werden als Menschen portraitiert, ohne einseitige Positionen zu beziehen. Dabei bleibt der Film dank überzeugender Akteure so spannend wie beklemmend. Die frappierend aktuelle Produktion wurde gleich zweimal von den Ereignissen im realen Frankreich eingeholt - als Anfang 2015 unter anderem der Anschlag auf die Charlie Hebdo-Redaktion die französische Hauptstadt erschütterte, zog sich der Vertrieb SND vom Projekt zurück und als ein erneuter Filmstart für den 18.11. anberaumt war, machte die Attacke auf das Bataclan auch diesen zunichte. | TIPP |
Boukhriefs Drama spielte sich mittlerweile im wahrsten Sinne abseits der Leinwand ab. Nach vereinzelten Festival-Präsentationen (u.a. Filmfest München) erscheint der Film nun in Deutschland zumindest auf DVD. |
grüsse aus fukushima
20th Century Fox
Als Clown in der Todeszone. Die junge Deutsche Marie (Rosalie Thomass) flüchtet aus Liebeskummer, zum Teil aber auch vor sich selbst ausgerechnet ins japanische Fukushima. Zusammen mit dem Clowns4Help-Kollegen Moshe will sie den Überlebenden von Tsunami, Erdbeben und Kraftwerks-GAU 2011, die auch Jahre später noch in Notunterkünften leben, wenigstens zweitweise wieder ein Lachen ins Gesicht zaubern. Marie scheitert und trifft auf Satomi (Kurosawa-Mimin Kaori Momoi) die letzte Geisha Fukushimas. Die störrische Alte ist auf eigene Faust in ihr zerstörtes Haus in der Sperrzone zurückgezogen. Das unwahrscheinliche Paar fetzt und rauft sich zusammen, wie sollte es anders sein in einem Dörrie-Film. Nach “Erleuchtung garantiert“ (2000) & “Kirschblüten – Hanami“ (2008) setzt die deutsche Regisseurin einmal mehr ihr Bild von Japan in Szene. Komplett vor Ort in schwarzweißen Aufnahmen realisiert ist es andererseits wohl kein Zufall, dass der erste Spielfilm, der sich mit dem Thema des Reaktorunfalls beschäftigt, kein originär japanisches Drama ist. Reichhaltiges Bonusmaterial: eine 50-minütige Pressekonferenz, auf der viele Hintergrundinformationen vermittelt werden, das 10-miütige Making Of, ein Bericht vom Bayrischen Filmpreis, entfallene Szenen, Trailer, Interviews & Bildergalerie. |
Flüstern des meeres
Studio Ghibli / Universum
Und noch einmal: Schauplatz Japan. Die beiden Schüler Taku und Yutaka sind beste Freunde. Eines Tages kommt die attraktive Rikako aus der Metropole Tokyo ins kleine Küstenstädtchen Kochi auf der Insel Shikoku. Bald ist sie Klassenbeste, aber auch Außenseiterin. Yutaka verliebt sich in sie, was die Freundschaft mit Taku auf eine harte Probe stellt. Innerhalb des Ghibli-Ouevres ist der 90er-Jahre Fernseh-Film von Regisseur Tomomi Mochizuki natürlich eher unspektakulär, was Story Erzähweise und zeichnerische Umsetzung betrifft. Die Manga-Verfilmung lädt immerhin zu Vergleichen ein - einerseits mit den unterschiedlichen Regie- & Animations-Stilen der Ghibli-Gründer Hayao Miyazaki (u.a. Princess Mononoke) und Isao Takahata (u.a. Grave of the Fireflies), andererseits mit den Arbeiten assoziierter jüngerer Kollegen wie Hiromasa Yonebayashi (When Marnie Was There) oder Miyazakis Sohn Goro (From Up on Poppy Hill), der nächsten Ghibli-Generation. Die im Bonusmaterial neben den Trailern enthaltenen Storyboards, Hintergrundberichte & das Making Of gewähren interessante Einblicke in die Arbeitsweise des international bei weitem erfolgreichsten Animationsstudios Nippons. |
ein gespenst auf freiersfüssen
Winkler Film / Alive
Wer sich vergewissern möchte, worauf die vergnüglich-altmodische amerikanische Spätsechziger-TV-Serie (erst NBC, dann ABC) The Ghost & Mrs. Muir mit Hope Lang & Edward Mulhare basiert - voilà: auf dem nun unter dem deutschen Originaltitel Ein Gespenst auf Freiersfüßen auf DVD vorliegenden gleichnamigen Film von 1947. Das Original vom späteren Cleopatra-Regisseur Joseph L. Mankiewicz, in dem die attraktive Witwe Lucy Muir mitsamt Tochter & Haushälterin ein Haus an der Küste von Maine bezieht und sich in den dort spukenden Geist des lange verstorbenen Kapitäns Daniel Gregg verliebt, setzte im Gegensatz zur komödiantischen Silver Screen Version ganz auf die Romantik der Story nach dem Roman der Autorin Josephine A. C. Leslie (mit dem unwahrscheinlichen Pseudonym R. A. Dick). Rex Harrisons Seebär und die von Gene Tierney gespielte Mrs. Muir werden schließlich ein Paar, auch wenn es erst im Jenseits klappt. Bernard Herrmanns orchestraler Filmscore zieht dahingehend alle Register. Nostalgische Sonntagnachmittags-Unterhaltung, die auch ohne umfangreiche Bonus-Ausstattung (enthalten sind US-Trailer & Bildergalerie) funktioniert. |
im schatten der frauen
good movies / Indigo
Pierre (Stanislas Merhar) und Manon (Clotilde Courau) sind seit langem ein Paar, das auch gelegentlich zusammen arbeitet - als Dokumentarfilmer. Sie leben in einfachen Verhältnissen, beide gehen schließlich fremd, aus unterschiedlichen Beweggründen. Wie üblich kapiert der Mann insgesamt weniger von allem, was mit und um ihn herum passiert und natürlich kommt irgendwann alles heraus. Selbstzweifel, schlechtes Gewissen, aufrichtige Gefühle für mehr als einen Menschen, Projektion und Feigheit - das übliche Seelen-Wirrwarr-Package wird hier von Regisseur Philippe Grappel unspektakulär und ruhig in Schwarzweiss inszeniert - der Kritik jenseits wie diesseits des Rheins gefiel dieser schlichte Ansatz überwiegend. Der unmaßgeblichen Meinung des dagegen nur mäßig begeisterten Rezensenten nach ist die zusätzliche, Offensichtliches haarklein erklärende Erzählstimme allerdings etwas zuviel des Guten, insbesondere in der deutschen Sychronfassung. Alternativ: im französischen Original mit optionalen deutschen Untertiteln. |
the brave
Capelight / Alive
Harter Tobak. Der Indianer Rafael (Johnny Depp) lebt mit Frau und zwei kleinen Kindern im Müll eines vom Abriss bedrohten Trailerparks. Der amerikanische Traum hat nicht funktioniert, jeder Tag bedeutet Frust & Überlebenskampf im teils kriminellen Milieu. Der vom Rollstuhl aus über die richtige Art zu sterben philosophierende Zyniker McCarthy (Marlon Brando) bietet dem desillusionierten Familienvater 50.000 Dollar dafür, sich vor laufender Kamera foltern und hinrichten zu lassen. Rafael tauscht das Geld gegen ein rauschendes Fest im Trailerpark & wenige Momente des Glücks mit seiner Familie, der er anders keine Zukunft zu bieten imstande ist. Leider funktioniert wenig in diesem ambitionierten, 1997 in Cannes zunächst wohlwollend empfangenen Werk von Regisseur, Co-Drehbuchautor & Hauptdarsteller Johnny Depp. Die wie bei Emir Kusturica entliehen wirkenden Szenen des Müllhaldenfests (incl. Cameo von Iggy Pop, der auch für die Filmmusik verantwortlich war - alle drei kennen sich von der 1993er Zusammenarbeit bei Arizona Dream) stehen wie zusammenhanglos inmitten des vom Sujet vorgegebenen düsteren Rests an Material. Weder Depps, Brandos noch die Performances der Nebendarsteller sind sehenswert, Depp verhinderte folgerichtig die Veröffentlichung seines Regiedebuts in den USA. |
Elvis - aufstIEg & fall des king /
finding graceland
Studio Hamburg / Concorde
Zweimal der King im Mittelpunkt. 1 Zunächst bemüht sich das zweiteilige US-TV-Biopic von 2005 die Phase von 18 bis 33 im Leben von Elvis Presley einigermaßen chronologisch nachzuerzählen. Von der ersten noch selbstbezahlten Plattenaufnahme in den Sun Studios über die erfolgreiche Geschäftsbeziehung mit Manager Colonel Parker, die Militärzeit und Elvis´ Filmkarriere bis zum Aufbruch nach Las Vegas - nach dem 68´er TV-Comeback brechen das Drebuch von Patrick Sheane Duncan und der Film von Regisseur James Steven Sadwith ab. Insofern ist der deutsche Untertitel irreführend, denn vom Abstieg der späten Jahre erfährt der Zuschauer hier letztendlich nichts, auch wenn erste Probleme des kreativ stagnierenden Presley angedeutet werden. Jonathan Rhys Meyers (u.a. Die Tudors) gewann für seine Darstellung der Rock'n'Roll-Legende Elvis Presley immerhin den Golden Globe, Randy Quaid als Parker, Rose McGowan als Ann-Marget & Antonia Bernath als Priscilla Presley komplettieren den Cast des relativ spartanisch ausgestatteten Projekts. 2 Elvis als Seelenklempner - Moment, brauchte der Mann nicht selbst Hilfe? Warum Harvey Keitels Figur als selbsterklärter King seine Comeback-Reise durch die USA angetreten hat, bleibt länger die Frage im nun auf deutsch Unterwegs mit Elvis untertitelten Streifen von Regisseur David Winkler. Byron Gruman (Johnathon Schaech), der sich die Schuld am Unfall-Tod seiner jungen Frau gibt, nimmt den seltsamen Anhalter zunächst nur widerwillig mit, irgendwo in New Mexico. Von den folgenden Drehbuchverwicklungen ist der Auftritt der Marilyn Monroe-Imitatorin Ashley (Bridget Fonda) und deren Bühnen-Performance von You´d Be Surprised am bemerkenswertesten (Keitels Auftritt mit Suspicious Minds eher nicht). In Hollywood sowie Tunica, Mississippi und Memphis, Tennessee gedreht, geht der für knapp 10 Millionen US-Dollar gedrehte Film als Road Movie durch, immerhin protegiert von Priscilla Presley und der bis dahin einzige Spielfilm, für den im echten Graceland gedreht werden durfte. Die zwei Elvis-Nummern If I Can Dream und Long Black Limousine sind im Film gelandet, aber auch viel süßliche Scoremusik von Stephen Endelman. |
gods of egypt
Concorde
Planet Egypt. Das war die Vorgabe für das phantastische Bluescreen-Szenario in dem der ehemalige Musikvideo-Regisseur Alex Projas (The Crow, I Robot) seine Stars als altägyptische Gottheiten agieren lässt: Gerard Butler (300) als Set, Nikolaj Coster-Waldau (Game of Thrones) als Horus und Geoffrey Rush (Shine) als Ra. Diese sollten sich statt durch den aus früheren Sandalenfilmen bekannten Sand durch blühende Landschaften, monumentale Stadtbauten und - fliegenderweise - auch über das Firmament der Erdenscheibe bewegen, wo nach dem Glauben der Alten Ägypter Ra, der Gott des Lichts, sein Sonnenschiff steuerte. Den nicht unerheblichen kommerziellen US-Flop des Streifens konnte die Produktionsfirma Lionsgate gerade so durch weltweite Lizenzen auffangen. Der von jeder Menge Overacting garnierte CGI-Streich versucht eine computerspiel-affine Zielgruppe durch Aneinanderreihung überladener Kampfszenen bei Laune zu halten, während sich Charakterzeichnung & Drehbucheinfälle in Grenzen halten: Scorpion King meets Transformers - und nicht mal ohne Sand kommt man letztendlich dabei aus: am effektvollsten noch der Angriff zweier Furien-gesteuerter, feuerspeiender Riesenschlangen (wie das Chaos-Monster Apophis wohl inspiriert von den Dune-Sandwürmern), vorausgesetzt, man sich an die übertrieben schnelle Bildfrequenz gewöhnt. |
I Am thor
Studio Hamburg
Thunder on the tundra! Die 2015 von Ryan Wise inszenierte Dokumentation I Am Thor ruft eine skurrile Fußnote der Populärkultur der 70er/80er Jahre ins Gedächtnis (oder bisher Ahnungslosen erstmals auf den Schirm): Der Kanadier Jon Mikl Thor war ein musikalisch dem Dramatic Metal zuzurechnender Bodybuilder und Performer. Samt seiner Band THOR wurde er bei fatansy-affinen Fans im Fahrwasser weit erfolgreicherer Acts wie Kiss oder Metallica bekannt und hatte sogar eine kleine Filmkarriere, mit Auftritten in Streifen wie Rock'n' Roll Nightmare oder Zombie Nightmare, verschwand zwischenzeitlich aber wieder von der Bildfläche. Wises Hommage zeichnet "Aufstieg, Fall und Wiedergeburt" dieses speziellen Performers nach, der sich nie zu schade war, Muskel-Kunststücke in seine Sets einzustreuen oder Wärmflaschen durch Aufblasen zum Platzen zu bringen. Der muskulär abgespeckte Donnergott der späteren Jahre wird als rundlich-ausgeglichener Bühnensüchtiger, nicht ohne Distanz zur eigenen 100% true, 100 % real, 1000% Metal-Kunstfigur gezeigt. |