REVIEWS JAZZ 01-2017
Sun Ra - Singles Vol. 1: Definite 45s Collection 1952-1961
Strut / Indigo
Der außerordentliche, ganz eigene Kosmos des Gesamtkunstwerks mit Namen Sun Ra wurde an dieser Stelle bereits mehrfach staunend unter Auge & Ohr genommen. Viele mag überraschen, dass dieser experimentierfreudige Ensembleleader im Laufe seiner langen Karriere als Künstler von 1952 bis 1991 eine Vielzahl von Singles veröffentlichte - die Mehrzahl in Klein- und Kleinst-Auflagen, auch die zeitweise beliebten Flexi-Magazin-Beilagen zählen hier. Die Strut-Archivare haben sich mit dieser "definitiven" (mutmaßlich opulent ausgestatteten 3er (wahlweise CD- oder LP-) Kollektion zur Aufgabe erkoren, all diese 45er in remasterter Form zu versammeln. Zunächst wird die erste, bis 1961 reichende Folge veröffentlicht - stilistisch erwartungsgemäß, einen breiten Bogen spannend: von Spoken Word, Doo Wop, Balladen, Rock´n Roll, Bebop & Straight Jazz bis hin zu einem Weihnachtslied. Spaciger & free wurde es vornehmlich später mit dem Arkestra. |
TIPP |
Looking forward. www.sunraarkestra.com |
Manfred Krug & Uschi Brüning - Auserwählt
Content / Edel
Überfällig war es, das späte, tatsächlich erste gemeinsame Album von Uschi Brüning & Manfred Krug, dieses immer wieder so einmalig harmonierenden Bühnenpaares. Den Stimmen auf Auserwählt (der bemerkenswerte, von Andreas Bicking komponierte & von Krug getextete Titel-Song) wurden im Waschzettel "keinerlei Abnutzungserscheinungen" attestiert. Das war Unsinn, denn Krug sah & hörte man Alter & Krankheit hier bereits an. Die Verletzlichkeit, auch früher, im Vollbesitz seiner Kräfte, schon Stilmerkmal & Stärke seines Gesangsausdrucks, rührt in der hier vernehmbaren Brüchigkeit doppelt an, während Uschi Brüning ihren souverän-femininen Part liefert. "Es tat gut - und weh." |
In memoriam
TIPP |
Jazz Loves Disney
Verve / Universal
Disney liebte Jazz - und viele Jazzer liebten Disney - von Louis `Satchmo´ Armstrong, dem verhinderten King Louie aus dem Jungle Book über Miles Davis bis hin zu Sun Ra. Nicht die erste Kopplung mit jazzigen Disney-Film-Titeln - und sicher nicht die letzte. Aktuell aber klar die erste Wahl, um sich den opulenten Bildband The Walt Disney Archives mit Muße zu Gemüte zu führen: Das von (Gregory Porter-, Norah Jones-)Produzent Jay Newland & Arrangeur Rob Mounsey (Steely Dan, Paul Simon) angeschobene Verve-Projekt schickt eine Riege Universal-Künstler ins Rennen, die sich hören lassen kann: Etwa einen aufgeregt durch den Aristocats-Evergreen Everybody Wants To Be A Cat turnenden Jamie Cullum, oder Stacy Kent, deren Französisch bei Bibbidi Bobbidi Boo (aus Cinderella) besonders charmant klingt. Melody Gardot ist gleich zweimal am Start, sozusagen als Lady mit He´s A Tramp & im Duett mit Raphael Gualazzi beim Jungle Book-Hit The Bare Necessities. Und ihren erklärten Lieblingssong, Love Goes On (aus Robin Hood) hätte man auch gern noch gehört... All diese "iconic songs which have always been a part of the fabric of your life." (Gregory Porter) |
TIPP |
Bliebe höchstens das Booklet zu kritisieren, wo dem eigentlich interessanten, ganz typographisch ausgerichteten Gestaltungsansatz öfters die Lesbarkeit geopfert wurde. |
Norah Jones - Day breaks / Torun Eriksen - Grand White Silk
Blue Note / Universal * Jazzland / Edel
1 Für das mittlerweile sechste Studioalbum der mehrfachen Grammypreisträgerin Norah Jones lässt sich ein wieder höherer Jazz-Anteil konstatieren. Kein Wunder, denn inspiriert wurde Day Breaks vom Zusammenspiel mit dem Wayne Shorter Quartet beim 75-jährigen Blue Note-Jubiläum in Washington DC 2014. Jones, die ja ursprünglich einmal Jazzpianistin werden wollte, setzte sich in der Zeit ihrer Mutterschaftspause wieder öfter ans länger vernachlässigte Küchenklavier und komponierte nach & nach die meisten der hier vertretenen eigenen Titel (3 davon zusammen mit Co-Produzentin Sarah Oda). Mit dem gut aufgelegten Shorter (sowie dessen Partnern Bassist John Patitucci & Schlagzeuger Brian Blade) nahm sie schließlich zwei Titel auf: Horace Silvers Peace und das abschließende, meditative African Fleurette. Auch ganz unterschiedliche Titel aus der Feder von Duke Ellington oder Neil Young macht sich Norah Jones zu eigen - auf einem Album, dass auch eher kritische Geister überzeugen könnte. Die NJ-Fans sind eh dauer-hingerissen. www.norahjones.com |
TIPP |
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2 Auch die "norwegische Joni Mitchell", Torun Eriksen, ist schon bei Studioalbum Nummer fünf angekommen. Ähnlich genreübergreifend wie die berühmte Kollegin unterwegs, hat sich die Sängerin mit Ihren langjährigen Mitstreitern Kjetil Dalland (git,b), Andreas Bye (dr, perc) & David Wallumrød (kb) im Rücken bei Grand White Silk erstmalig zugetraut, selbst zu arrangieren & produzieren ( meist mit Co-Komponist Dalland). Offen für klangliche Experimente & Kunstlied-Einflüsse, gelingen dem nordischen Quartett dabei im Jazz-Balladen-Kontext durchaus auch popnahe Passagen, ohne beliebig zu werden. Recorded & mastered in Oslo, mixed in Tromsø. |
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Ikarus - Chronosome
Ronin Rhythm Records / Galileo Music Communication
Chronosome ist das zweite Album von Ramón Oliveras, seines Zeichens Komponist, Schlagzeuger & Bandleader des Schweizer Ensembles Ikarus mit Sängerin Stefanie Suhner, Sänger Andreas Lareida, Pianist Lucca Fries und Bassist Moritz Meyer. Das Quintett spielt nach eigener Einschätzung Evocativ Jazz, eine Mixtur von minimal gehaltenen Grooves, Polyrhythmen, nordisch anmutenden Soundscapes und Progressive Jazz-Elementen. Auffallend dabei das sichere Zusammenspiel, Oliveras´ versierte Rythmusarbeit und die herausragenden Vocals des Frontpaares Suhner & Lareida. Obwohl alle Mitglieder Musikhochschul-Background und die entsprechenden Abschlüsse haben - artsy oder akademisch klingt das hier überhaupt nicht. Feines, aufwendiges Digipak-Package-Design. https://ikarus.band |
Artwork: Olivier Baumann |
Hakon Kornstad - Tenor Battle
Jazzland / Edel
Mitte November war er für zwei Konzerte kurz in Deuschland, der vielbeschäftigte norwegische Tenor-Saxophonist. Kornstad, der bereits mit Pat Metheny oder Joshua Redman spielte, könnte sich ohne Probleme auf die virtuose Bedienung seines Instruments (Flöte spielt er ebenfalls) beschränken, aber: nach einem Opernbesuch (Mascagnis Cavalleria Rusticana) in New York war der Mann so beeindruckt, dass er begann, Gesangsstunden zu nehmen, um Tenor zu werden. Das Potential für einen gar greußlichen Stilmix ist aufgrund so unterschiedlich scheinender musikalischer Vorlieben vorhanden - und auf CD auch nicht 100%ig zu entkräften. Puristen der Lager Oper & Jazz werden auch anhand Kornstads Tenor Battle (sic!) kaum zusammenfinden. Offenere Hörer ohne Scheuklappen könnten insbesondere live auf ihre Kosten kommen. www.kornstad.com |
Seba Kapstaad - Tagore´s
Jazznarts Records / In-Akustik
Bis in den November hinein war das Ensemble um Sebastian Schuster (b,D), Zoe Modiga (voc,Südafrika) und Ndumiso Manana (voc,Swasiland) auf Tournee in Deutschland zu begutachten. Schade, dass wir außer Landes waren. Im Tagore´s Club, 42 Trill Road, Capetown als kulturverbindendes Bandprojekt ins Leben gerufen, geprägt durch die vielfältigen nationalen & stilistischen Backgrounds der Bandmitglieder (Pianistin Gee Hye Lee stammt aus Südkorea) ist auf dem gemeinsamen, in München eingespielten Album Tagore´s ein tragfähiger Afro-Jazz-Mix mit Rhythm `n Blues-, Hip-Hop- & Soul-Einflüssen zu hören. |
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Paulo Morello & Andreas Dombert - Night of jazz guitars -Sound & Clouds
home.Fi records
Seit 2011 und ihrem Gipfeltreffen mit Larry Coryell & Helmut Kagerer tourten Paulo Morello & Andreas Dombert immer wieder mit weiteren prominenten Jazzgitarristen-Kollegen wie Ulf Wakenius, Michael Sagmeister oder Airo Moreira durch Europa. Der Wunsch nach einer zweiten Night of Jazz Guitars wurde stärker und voilà: auf dem nun vorliegenden Nachfolge-Album sind erneut Coryell & Kagerer (mit Unveröffentlichtem aus Session 1), sowie Pat Martino, Jim Mullen und Giovanni Weiss mit von der Partie, im Duo, Trio oder Quartett. Erneut geht es den Initiatoren nicht um ein Kräftemessen oder die halsbrecherischsten Saitenläufe, sondern um die künstlerische Begegnung, das Zusammenfinden in Improvisation & Spiel. Play Tracks 5-7. andreasdombert.de paulomorello.com nightofjazzguitars.net |
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gerdband - Nevertheless
Personality Records / In-Akustik
Mit Nevertheless, dem dritten Album der gerdband könnten Liebhaber von melodischem Jazz, instrumentalen Grooves und feinen Piano-Balladen rein musikalisch eine Menge Freude haben. Bandleader Gerd Baier, mit seinen Kollegen Mario Fadani (Bass) und Dirik Schilgen (Drums) für den von ihm komponierten & gemeinsam arrangierten Wurf verantwortlich, will es aber nicht dabei belassen. Baier möchte in Zeiten fragiler & fremdenfeindlicher werdender Gesellschaften seine Musik & speziell das vorliegende Album als Zeichen für Menschlichkeit, Frieden & Freiheit verstanden wissen, im Geiste anküpfend an einen für Baier wichtigen Song, den vor 45 Jahren erschienenen Peacetrain von Cat Stevens..."dreamin´ about the world as one". web präsenz der gerdband |
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Matt Bianco Meets New Cool Collective - The Things You Love
Earmusic / Edel
Ja, richtig. Matt Bianco, das war dieser 80´s UK-Act, der mit jazzig-soulpoppigen Hits wie Half a Minute, Yeh Yeh, Get Out Of Your Lazy Bed oder More Than I Can Bear verdientermaßen in den Charts reüssierte. Mit Things You Love und zusammen mit dem achtköpfigen, holländischen, soul-affinen Jazz-Ensemble New Cool Collective startet der gut gealterte Mastermind Marc Reilly einen veritablen Wiederbelebungsversuch. Schmissiger Opener, gute Follow-up´s und ein passables Remake des 88´er Tracks Don´t Blame It On The Girl. Genau. "Never give up on the things you love." Last but not least gibt es noch zwei Remixe von keinem Geringeren als Nicola Conte (& Gefolge). |
Play Tracks1,2,4-6,8. |
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